
Serviert statt nur versprochen: Warum Datenstrategien echte Gänge brauchen
- Ben Diez
- Data Strategy
- 03.06.2025
Man stelle sich folgende, exklusive Verkostung vor: Die Einladung liest sich wie das Hochzeitsmenü bei den Beckhams, ein Sternekoch spricht mit leuchtenden Augen über Aromen, Mouth Feeling und die emotionale Wirkung eines perfekten Gangs. Der Großteil der Zuhörer hört mäßig begeistert zu, letztendlich ist man fürs Essen gekommen. Doch statt eines ersten Ganges oder zumindest eines Grußes aus der Küche gibt es zum überraschend plötzlichen Ende der Veranstaltung einen Cracker, den man auch noch teilen muss. Sogar das letzte Abendmahl hatte wenigstens noch Weinbegleitung…
So oder so ähnlich fühlen sich viele Mitarbeiter, wenn sie zum ersten Mal mit der Datenstrategie ihres Unternehmens konfrontiert werden. Die Vision ist formuliert, ambitioniert und gut gemeint. Das Konzept ist strukturiert, alles in mehreren Gremien abgestimmt und ein Experte referiert bedeutungsschwanger über den anstehenden Schritt in die Zukunft. Was dann aber meistens fehlt, ist das, was Strategie erst einen Sinn gibt: ein konkreter Anwendungsfall. Ohne Use Cases bleibt Datenstrategie eine leere Hülse, ein theoretisches Versprechen, das zwar gut präsentiert wurde, aber inhaltsleer bleibt.
Große Pläne, kleine Wirkung
Viele Unternehmen starten ihre Datenstrategie mit klarer Absicht: Sie wollen datengetriebener arbeiten, bessere Entscheidungen treffen und/oder Prozesse effizienter gestalten. Im Nu und zahlreichen Meetings werden Strategiepapiere entworfen, Verantwortlichkeiten formuliert, neue Rollen definiert und vielleicht sogar schon eine erste Governance-Struktur mit viel zu komplexem Organigramm aufgesetzt. Die Präsentationen dazu sehen oft beeindruckend aus, mit vielen Pfeilen, Kästchen und Zielbildern, gelegentlich untermalt von spektakulären PowerPoint-Effekten.
Das klingt in der Theorie logisch und wirkt auf dem Papier stimmig, verfehlt in der Praxis jedoch fast immer seine Wirkung. Denn solange die Strategie nicht in konkrete Anwendungsfälle übersetzt wird, bleibt sie abstrakt. Es fehlt der Bezug zum Tagesgeschäft. Die berühmte Frage “Und was bringt mir das jetzt?” bleibt unbeantwortet, was relativ genau der Moment ist, in dem viele Dateninitiativen ihre Dynamik verlieren.
Mit Blick auf die vorherige Metapher wirkt es wie eine Küchenbesprechung, bei der das gesamte Serviceteam detailliert erklärt bekommt, welche Philosophie hinter dem neuen Fünf-Gänge-Menü steckt, aber niemand weiß, wann oder ob überhaupt etwas serviert wird. Worst Case: Nie. Die Folge ist Frust pur. Man hatte mit einem Erlebnis gerechnet, stattdessen gab es eine PowerPoint zur Geschichte der Marmelade und einen warmen Händedruck vom Koch. Aus diesem Grund sind konkrete Use Cases kein optionales Element, sondern der Schlüssel, damit aus einer Datenstrategie etwas wird, das die betroffenen Mitarbeiter greifen können.
Was Use Cases verändern
Ein guter Use Case ist wie der erste echte Gang nach dem gefühlt viel zu langen Monolog des Sternekochs: Er macht verständlich, was gemeint ist, und zeigt, ob die Philosophie dahinter auch schmeckt.
Ein solcher Use Case beantwortet eine echte Frage, löst ein bestimmtes Problem und demonstriert auf nachvollziehbare Weise, wie Daten im Alltag einen Mehrwert schaffen können. Mehr noch: Er schafft Vertrauen. Denn wenn aus all den großen Worten und ambitionierten Plänen plötzlich ein konkretes Ergebnis wird, verändert sich auch die Haltung der Beteiligten.
Use Cases sind damit das entscheidende Bindeglied zwischen strategischem Anspruch und operativer Realität. Sie zeigen konkret, wie Daten zur Entscheidungsfindung beitragen, wie Prozesse schlanker und Abstimmungen klarer werden. Und vor allem: Sie holen die Beteiligten ab, mit ihren Fragen, alltäglichen Herausforderungen und dem nachvollziehbaren Wunsch nach Vereinfachung statt zusätzlicher Komplexität.
Drei Zutaten für gelungene Use Cases
Bevor konkrete Use Cases definiert werden, lohnt sich ein ausführlicher Blick in den Maschinenraum der Organisation: Welche Themen treiben die Fachbereiche wirklich um, wo entstehen regelmäßig Reibungsverluste, welche Fragen bleiben unbeantwortet? Wer das ernst nimmt, kommt schnell auf die zentralen Bereiche, in denen Daten keine abstrakte Idee sind, sondern konkrete Entlastung bringen können.
Alltagsnähe: Ein Use Case muss ein echtes Problem adressieren, kein hypothetisches Ideal. Ob das Reporting im Vertrieb, die Mengenabstimmung in der Produktion oder die Qualitätssicherung im Einkauf: Wenn es greifbar ist, ist es wirkungsvoll
Machbarkeit: Nicht jeder Use Case muss gleich das große Ganze ändern. Es reicht, wenn er zeigt: Es funktioniert. Wichtig ist, dass man ohne monatelange Vorprojekte mit vertretbarem Aufwand loslegen kann
Hebelwirkung: Idealerweise hat ein guter Use Case Ausstrahlung auf mehrere Bereiche oder Prozesse. Er zeigt, dass Datenstrategie kein Selbstzweck ist, sondern einen echten Unterschied macht, der andere inspiriert, selbst aktiv zu werden
Ein Beispiel aus der Praxis
In unserem Projekt mit dem Feinkosthersteller zeigte sich sehr deutlich, wie wirkungsvoll gezielte Use Cases als strategisches Umsetzungsinstrument sein können. Anstatt die Datenstrategie als reines Governance-Konstrukt zu behandeln, lag der Fokus früh darauf, konkrete, bereichsübergreifende Anwendungsfälle zu identifizieren, die für diejenigen, die tagtäglich mit den Daten arbeiten, echten Mehrwert liefern.
Ein besonders wirkungsvoller Use Case im Projekt mit dem Feinkosthersteller betraf die Produktionsplanung. Die Herausforderung war dabei keineswegs neu, aber umso typischer: Die Produktionsleitung musste tagtäglich entscheiden, welche Produkte in welchen Mengen produziert werden, basierend auf einer Vielzahl von Datenquellen, die weder konsistent noch aktuell waren. Informationen wurden aus mehreren, nicht zwingend aktuellen, Exceltabellen zusammengetragen, ergänzt durch Rückfragen in andere Fachabteilungen oder telefonisch eingeholte (d.h. nicht dokumentierte) Schätzwerte. Die Folge: hoher Zeitaufwand, fehlende Transparenz und ein permanentes Risiko, an der tatsächlichen Nachfrage vorbeizuplanen.
Mit dem Aufbau eines automatisierten Reportings konnte genau hier angesetzt werden. Das Ziel war es, die relevanten Kennzahlen für Planung und Steuerung zentral verfügbar zu machen und zwar tagesaktuell, bereichsübergreifend und ohne manuelle Zwischenstufen. Das neue Reporting brachte erstmals eine gemeinsame Datenbasis in die Diskussionen zwischen Produktion, Vertrieb und Einkauf. Engpässe konnten früher erkannt werden, Auslastungsspitzen gezielter geglättet und Prioritäten faktenbasiert abgestimmt werden.
Der größte Effekt war allerdings nicht technischer Natur: Es entstand ein neues Vertrauen in die Daten und damit in die Entscheidungsgrundlage. Die Produktionsleitung konnte nachvollziehen, wie die Zahlen zustande kamen, woher sie stammten und welche Annahmen dahinterlagen. Gleichzeitig sank der Abstimmungsaufwand, weil alle Beteiligten mit denselben Informationen arbeiteten.
Der Use Case war weder besonders innovativ noch war er überaus spektakulär. Er war jedoch relevant, was in so wirkungsvoll machte.
Fazit: Keine Strategie ohne Serviervorschlag
Datenstrategie lebt nicht auf Folien auf dem Laufwerk, sondern in Prozessen und Entscheidungen. Sie entfaltet ihre Wirkung erst dann, wenn Menschen im Arbeitsalltag erleben, dass sie durch Daten besser informiert, sicherer in der Entscheidung oder effizienter in der Abstimmung werden.
Wer Use Cases gezielt auswählt, zeigt nicht nur, dass es funktioniert, sondern auch, dass Datenarbeit kein abstraktes Zukunftsthema ist, sondern eine echte Hilfe im Jetzt. Mit jedem gut gewählten Anwendungsfall steigt die Bereitschaft, sich auf das Thema einzulassen. Vertrauen wächst, Skepsis weicht, und das oft zitierte “Wir müssen datengetriebener werden” bekommt erstmals Substanz.
Oder, um zum Bild vom Anfang zurückzukehren: Wer zu einer Verkostung einlädt, sollte mehr bieten als eine PowerPoint über Aromen. Der erste Gang muss nicht spektakulär sein, aber er sollte überzeugen. Denn wer das erreicht, sorgt dafür, dass die Gäste neugierig bleiben. Und genau das ist es, was eine Datenstrategie braucht: Neugier auf mehr.