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Wie Sportereignisse Datenkultur fördern

Wie Sportereignisse Datenkultur fördern

Als Fußballfan verspürt man eine gewisse Genugtuung, wenn sich der bereits gelbverwarnte Spieler der gegnerischen Mannschaft, der dem eigenen Team gerade einen eingeschenkt hat, vor Freude sein Trikot vom Leib reißt. Dafür gibt es die zweite Karte und der Spieler darf frühzeitig zum Duschen.

Dem geneigten Zuschauer stellen sich dabei zwei Fragen. Erstens: muss das sein? Zweitens: was trägt der Spieler da für ein interessantes Unterhemd, das etwas an einen Sport-BH erinnert?

Bei diesem Kleidungsstück handelt es sich um die Halterung für einen Sensor, der Daten zum Träger erfasst: Laufwege, Herzfrequenz, Entfernungen zu Mitspielern und vieles mehr. Die Zeiten, in denen der Praktikant die zurückgelegten Meter einzelner Akteure mitrechnen musste, sind also vorbei.

Für die Zuschauer werden diese Mengen an Informationen in der Regel zu einer kurzen Übersicht zusammengedampft.

  • Wie viel ist jedes Team insgesamt gelaufen?
  • Wie viele Pässe wurden gespielt?
  • Wer gewinnt den Preis für den besten Sprint?

Diese Fakten an sich sind erst mal interessant, allerdings leider oft nicht aussagekräftig. Wer glaubt, nur weil jemand längere Strecken zurücklegt, würde er automatisch erfolgreicher sein, hat früher nie Fredi Bobic bei der Arbeit zugeschaut.

Herausragende Erkenntnisse aus diesen Daten werden im Fernsehen selten gezeigt. Ausnahmen sind z.B. die fragwürdigen Analysen zwischen zwei EM-Spielen, bei denen Experten in weißen Sneakern diverse Pfeile auf ihr Tablet kritzeln und etwas von Raumdeutung erzählen. Das mag für die Pep Guardiolas dieser Welt interessant sein, für den durchschnittlichen Zuschauer ist es in der Regel aber nur eins: ein Grund, abzuschalten und/oder einen bösen Brief an die GEZ zu schreiben.

Wer sich hingegen regelmäßig mit US-Sport auseinandersetzt, der weiß, dass die Vermittlung von Daten zu Spiel und Spielern dort um einiges tiefgreifender ist und von der Trefferhistorie einzelner Akteure bis hin zur Auswirkung der Schuhgröße auf das Kickverhalten fast jeder Datenpunkt in eine Story gepackt wird, die im Spielverlauf über den Bildschirm flackert oder vom Kommentator erläutert wird.

In den Vereinigten Staaten sind Sportereignisse nämlich nicht nur Unterhaltung, sondern auch eine der effektivsten Plattformen zur Vermittlung von Datenkompetenz. Ob Eishockey, Basketball oder Football (Fußball lassen wir im Beispiel USA mal außenvor) – bei jedem Spiel gehören Statistiken, Analysen und Trends zum festen Bestandteil der Berichterstattung.

Sport als Zugang zur Datenwelt

Draisaitl - Player Statistics

Wenn beispielsweise Leon Draisaitl aufs Eis springt, sehen Fans nicht nur einen Spieler, sondern auch eine Übermenge von Kennzahlen: Torschüsse, Assists, Strafzeiten, Rang in der Torschützenliste – und das alles in Echtzeit. Diese Zahlen bieten nicht nur Kontext, sondern erzählen Geschichten:

  • Welche Spieler sind in entscheidenden Momenten effektiv?
  • Welche Teams nutzen Powerplay-Situationen am besten?
  • Welche Torhüter sind besonders stark, wenn das Spiel auf Messers Schneide steht?
  • Und welche Strategien führen zu langfristigem Erfolg?

Dabei geschieht etwas Entscheidendes, das den meisten wohl gar nicht bewusst ist: Millionen von Menschen lernen, Daten zu interpretieren, Trends zu erkennen und Hypothesen aufzustellen, ohne dass es sich wie „Lernen“ anfühlt. Daten werden emotional erlebbar, weil sie mit spannenden Ereignissen verknüpft sind.

Ein Beispiel: Während einer Eishockeyübertragung könnten Zuschauer erfahren, dass ein Spieler in der aktuellen Saison 4 Tore in Unterzahl erzielt hat – eine Statistik, die sowohl seine individuelle Leistung als auch die Teamstrategie beleuchtet. Solche Einsichten regen die Zuschauer an, die Spiele mit anderen Augen zu sehen und ihre eigenen Analysen zu erstellen.

Der kulturelle Unterschied: Warum Amerikaner ein anderes Verhältnis zu Daten haben

In den USA sind Statistiken so tief in die Sportberichterstattung integriert, dass sie oft als unverzichtbarer Bestandteil wahrgenommen werden. Während eines Eishockeyspiels erscheinen kontinuierlich Daten auf dem Bildschirm: Penalty Killing Prozentwerte, Overtime-Siege oder Save Percentages – all diese Zahlen helfen den Zuschauern, die Leistung von Spielern und Teams besser einzuordnen. Ein Beispiel könnte die Einblendung „Mindestens ein Scorerpunkt in jedem der letzten 12 Spiele“ oder „Team hat 70% seiner Spiele gewonnen“ sein. Diese Daten schaffen eine Grundlage für Diskussionen und Analysen, die über den reinen Spielausgang hinausgehen und komplexere Fragen aufwerfen.

Es geht jedoch nicht nur um die Präsentation der Daten, sondern auch um ihre Integration in die Diskussionen und Narrative rund um den Sport. Fans in den USA diskutieren nicht nur, wer gewonnen hat, sondern auch warum und an welchen Daten sich das festmachen lässt:

  • War es die herausragende Leistung eines bestimmten Spielers?
  • Eine effektive taktische Anpassung?
  • Oder schlicht die bessere Chancenverwertung?

Diese Art von Gesprächen schärft das Verständnis für Daten und macht sie zu einem festen Bestandteil des Denkens. Besonders deutlich wird dies in der Beliebtheit von Fantasy Sportligen, die in den USA eine enorme Rolle spielen. Millionen von Teilnehmern erstellen ihre eigenen Teams basierend auf detaillierten Spielerstatistiken, analysieren Daten, und treffen datengetriebene Entscheidungen, um sich gegen andere Spieler durchzusetzen. Diese intensive Auseinandersetzung mit Zahlen zeigt, wie tief Daten in den Alltag integriert sind und das Verständnis für sie gefördert wird.

In Deutschland hingegen bleiben sportliche Analysen im Vergleich oft sehr oberflächlich. Selbst ein Top-Stürmer wie Harry Kane wird eher in einem Nebensatz mit seinen letzten Treffern gewürdigt, während eine tiefergehende Betrachtung der Leistungen oder taktischer Muster während des Spiels selten stattfindet.

Sport ist eine natürlich sehr spezifische Domäne für die Nutzung von Daten, aber in den USA ist er so präsent und allgegenwärtig, dass die Zuschauer diese Datenaffinität oft unbewusst aufnehmen. Durch die regelmäßige Konfrontation mit Statistiken lernen Fans, diese zu interpretieren und in Diskussionen einzubringen. Diese Fähigkeit lässt sich dann leichter in andere Lebensbereiche übertragen, da der Umgang mit Daten ein natürlicher Bestandteil des Alltags wird. Hierzulande ist der Umgang mit Daten folglich nicht so ausgeprägt, da solche Gelegenheiten und Berührungspunkte fehlen.

Selbst bei großen Sportereignissen wie der Eishockey-Weltmeisterschaft sehen Zuschauer häufig nur grundlegende Statistiken wie die Anzahl der Tore oder die Schussstatistik. Tiefergehende Analysen, wie z. B. der Einfluss bestimmter Spieler auf die Dynamik des Spiels, sind die Ausnahme. Dabei würden solche Informationen nicht nur den Sportgenuss steigern, sondern auch das Verständnis für die Bedeutung von Daten fördern.

Fazit: Datenkultur durch Alltagsintegration

Der Unterschied zwischen den USA und Deutschland zeigt, wie stark sich der alltägliche Umgang mit Daten auf die Denkweise einer Gesellschaft auswirkt. Wenn Daten präsent und spannend aufbereitet sind, fällt es Menschen leichter, Muster zu erkennen, kritische Fragen zu stellen und datenbasierte Entscheidungen zu treffen.

Vielleicht ist es an der Zeit, in Deutschland – sei es im Sport oder in anderen Bereichen – mehr Mut zu zeigen und Daten präsent und greifbarer zu machen. So könnte eine Kultur entstehen, in der Daten nicht als abstrakt, sondern als wertvolle Erzähler gesehen werden, die unseren Alltag bereichern.

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