
Case Study: Wie ein Getränkehersteller KPI-Chaos in Steuerbarkeit verwandelte
Wenn jeder eine andere Wahrheit hat
Montagmorgen, Geschäftsleitungsrunde bei einem Getränkehersteller mit rund 500 Mitarbeitenden. Der Produktionsleiter zeigt stolz: „Unsere Effizienzquote liegt bei 87 %.“ Der Werkscontroller ergänzt: „Laut meiner Auswertung sind’s eher 74 %.“ Die Vertriebsleiterin grinst trocken: „Komisch, ich hab gestern 65 % im Monatsreport gesehen.“
Drei Leute, drei KPIs – ein Problem.
Das Unternehmen produzierte über mehrere Werke hinweg Mineralwasser, Limonaden und Schorlen. Die Absatzmärkte waren anspruchsvoll, die Margen dünn. Steuerung war eigentlich Pflicht – doch die Datenlage war ein Puzzle. Jeder baute sich seinen KPI so, wie es gerade passte.
Der Anfang: Diagnose statt Dashboard
Wir wurden von der Geschäftsführung beauftragt, das KPI-Chaos zu entwirren. Keine leichte Aufgabe, denn der Wildwuchs war nicht nur technisch, sondern vor allem kulturell:
- Jedes Werk hatte eigene Definitionen für OEE, Ausschussquote und Durchsatz
- Zahlreiche Excel-Auswertungen mit individuellen Logiken existierten nebeneinander
- Die BI-Abteilung war reine Datenlieferantin, nicht steuernd
- Verantwortlichkeiten waren diffus – KPIs hatten selten klare Owner
Wir starteten nicht mit einem neuen Tool, sondern mit einer simplen Frage: Was wollt ihr eigentlich steuern – und warum?
Schritt 1: KPI-Governance – endlich Klarheit schaffen
Gemeinsam mit Produktionsleitung, Controlling und Vertrieb entwickelten wir ein einheitliches KPI-Governance-Modell:
- Definitionen wurden standardisiert: Was heißt „Effizienz“? Wie wird sie berechnet? Wann zählt eine Flasche als Ausschuss?
- Datenquellen wurden harmonisiert: MES-Daten, ERP und manuelle Rückmeldungen wurden über eine zentrale Logik (ETL in Azure Data Factory) zusammengeführt
- Jeder KPI bekam einen Owner – nicht nur technisch, sondern fachlich: eine Person, die für Qualität, Verständnis und Interpretation zuständig ist
Schritt 2: Business-gerechtes KPI-Design
Die bisherigen Dashboards waren hübsch – aber nutzlos. Viel zu viele Details, keine Entscheidungsrelevanz. Also entwickelten wir rollenspezifische Cockpits:
- Für das Management: Fokussierte Steuerungs-KPIs (z. B. Ausschuss in € je Abfülllinie)
- Für die Werke: Tägliche Performance-Monitorings mit automatisierten Alerts
- Für das Controlling: Drilldowns und Plausibilitätsprüfungen
Technologisch setzte das Team auf Power BI, gekoppelt an ein zentrales Datenmodell in Azure SQL. Die Governance wurde in Power BI Dataflows und Datasets eingebettet, um Konsistenz zu garantieren.
Schritt 3: Change durch Dialog
Doch der größte Hebel war nicht technologisch – sondern menschlich. Wir etablierten eine monatliche KPI-Review-Routine, in der die Bereichsverantwortlichen ihre Zahlen gemeinsam diskutierten:
- Nicht zur Kontrolle, sondern zur gemeinsamen Einordnung
- Abweichungen wurden nicht abgestraft, sondern analysiert
- Die Runde entwickelte sich zu einem echten Steuerungsgremium
Das Ergebnis: KPI-Transparenz wurde zum Motor für Eigenverantwortung.
Der Effekt: Aus Zahlen wurde Führung
Nach sechs Monaten war aus KPI-Wildwuchs ein gemeinsames Steuerungssystem geworden:
- Alle Bereiche arbeiteten mit denselben Definitionen
- Die Diskussionen verlagerten sich vom „Was stimmt?“ zum „Was tun wir?“
- Die Geschäftsführung nutzte die Dashboards täglich – und nicht nur zur Berichtslegung
Die Wirkung war spürbar:
- Die Nachbearbeitung sank um 18 %
- Ausschusskosten wurden um 12 % reduziert
- Schichtverantwortliche begannen, proaktiv auf ihre KPIs einzuwirken – statt nur rückblickend zu reagieren
Fazit: KPI-Ordnung ist kein Excel-Thema, sondern Führungsarbeit
Wer glaubt, ein BI-Tool alleine macht aus KPI-Chaos steuerbare Prozesse, hat das Problem nicht verstanden. Es geht um Governance, Verantwortung, Sprachregelung.
Dieser Getränkehersteller hat es geschafft – nicht mit einem neuen System, sondern mit einem neuen Selbstverständnis: KPIs sind keine Zahlenfriedhöfe – sie sind das Rückgrat der Steuerung. Wenn man sie ernst nimmt.